Präsident Zeman, die „Abschiebung" und die Dekrete

Am Vorabend eines Staatsbesuchs in Österreich hat der neue tschechische Präsident Miloš Zeman der österreichischen Presseagentur APA ein Interview gewährt. In dem Gespräch äußerte sich Zeman unter anderem zu den sogenannten Beneš-Dekreten und zur "Abschiebung" der Sudetendeutschen. Der Staatschef erklärte, die Dekrete hätten das Prinzip der Kollektivschuld nicht enthalten. Zehn Prozent der Deutschen (das entspricht der Anzahl der Kommunisten, Sozialdemokraten und einiger anderer Gegner Hitlers) seien in der damaligen Tschechoslowakei geblieben. Das seit Anfang März amtierende tschechische Staatsoberhaupt führte an, die "Aussiedlung" sei von Artikel XIII des Potsdamer Abkommens ausgegangen: Die Sudetendeutschen hätten Landesverrat begangen und die Vertreibung sei eine mildere Bestrafung gewesen als die Todesstrafe.

Ich erachte es als notwendig, dazu zu bemerken: Zur Deportation aus der Tschechoslowakei waren alle Einwohner des Landes deutscher Nationalität bestimmt, die nicht über die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verfügten. Die tschechoslowakische Staatszugehörigkeit wurde vom Verfassungsdekret Nr. 33/1945 Slg. geregelt. Gemäß diesem Dekret verloren die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder ungarischer Nationalität, welche entsprechend den Vorschriften der fremden Okkupationsmacht die deutsche Staatszugehörigkeit erlangt hatten, dadurch die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher Nationalität büßten die tschechoslowakische Staatszugehörigkeit an dem Tag ein, an dem das Dekret in Kraft trat. Wer von der Gültigkeit dieser Verfügung ausgenommen werden wollte, musste beim zuständigen Nationalausschuss (Anm.: damalige administrative Verwaltungsbehörde)einen "Antrag zur Feststellung, dass die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten bleibt" einreichen. Über den Antrag entschied das Innenministerium. Dem Gesuch sollte entsprochen werden, wenn der Antragsteller nachwies, dass er der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben war, sich niemals gegen das tschechische und das slowakische Volk vergangen und entweder aktiv am Kampf für deren Befreiung teilgenommen oder unter dem nazistischen Terror gelitten hatte. Die Bedingungen wurden offensichtlich so gestellt, dass ihnen fast niemand entsprechen konnte. Der Umkreis der zur Deportation bestimmten Menschen wurde kollektiv festgelegt. Ausnahmen mussten individuell beantragt werden, und zwar bei den Verwaltungsbehörden. Ein Großteil derer, die letztendlich in der Tschechoslowakei bleiben durften, verblieb deshalb im Land, weil sie für den weiteren Gang der Industriebetriebe unabkömmlich waren. Allerdings wurde auch ihnen das gesamte Vermögen konfisziert und die bürgerlichen Grundrechte verweigert.

Insofern es sich um die vom 17. Juli bis 2. August 1945 tagende Potsdamer Konferenz der drei alliierten Großmächte handelt, so ist in Artikel XII des Verhandlungsprotokolls und nachfolgend im XIII. Artikel des Berichtes über die Konferenz von den Deportationen die Rede. Dort heißt es: „Die drei Regierungen … erkennen an, dass der Transfer der deutschen Bevölkerung oder ihrer Teile nach Deutschland realisiert werden soll… Sie sind sich einig, dass jeder Transfer geordnet und human erfolgen muss." Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die Sowjetunion nahmen somit die in Ost- und Südosteuropa bereits spontan verlaufenden Zwangsausweisungen lediglich als notwendig zur Kenntnis. Es ist offensichtlich, dass die USA und Großbritannien damit die Mitverantwortung für die ganze Aktion übernahmen. Die Bedingung der Ordnungsmäßigkeit und Humanität war angesichts dessen, um welch enorme Bevölkerungsumwälzung es sich handelte, in welch kurzer Zeit sie durchgeführt werden sollte und weil die Menschen in das vom Krieg zerstörte Deutschland deportiert wurden, heuchlerisch und hatte eine Alibifunktion.

Insofern es sich um Zemans Bemerkung handelt, die Sudetendeutschen hätten Landesverrat begangen und die Vertreibung sei milder als die Todesstrafe gewesen, lasse ich ihre Absonderlichkeit außer Acht (soll das vielleicht heißen, dass wir die Deutschen damals hätten abschlachten können, aber weil wir human waren, es nicht getan haben?) und beschränke mich auf die Feststellung, dass ein Vaterland (Staat) entsteht, wenn sich alle Beteiligten auf seine Bildung einigen. Ich möchte das gravierende Problem der Entscheidung der Vertreter der Sudetendeutschen über die Zusammenarbeit mit Hitler nicht verschleiern, sondern nur darauf aufmerksam machen, dass es unsachlich ist, von Landesverrat zu sprechen, wenn es bezüglich der Bildung eines gemeinsamen Staates nicht zur Einigung gekommen ist.

überregionale Tageszeitung "Lidové noviny", 25. April 2013
Übersetzung Sylvia Janovská