Kaderpolitischer Knochentest

Vor geraumer Zeit hat ein ortsansässiger Bürger auf der im Volksmund Budínka genannten Wiese nahe der Gemeinde Dobronín (Dobrenz) bei Jihlava (Iglau)ein Kreuz zum Gedenken an die dort im Mai 1945 getöteten deutschen Einwohner errichtet. Wie dies in ähnlichen Fällen die Regel zu sein pflegt, wurde das Kreuz zum Stein des Anstoßes. Letztlich strichen einige Vertreter der Tschechischen Nationalsozialen Partei das Kreuz rosafarben an und ergänzten es durch 64 Holzkreuze, die an die tschechischen Opfer der deutschen Gewalt in der Region in der Okkupationszeit erinnern sollen.

Zeitlich fiel die Aktion auf den 28. Oktober, den Tag der Gründung der eigenständigen Tschechoslowakei im Jahr 1918. Die Initiatoren machen kein Geheimnis daraus, dass sie damit die öffentliche Wahrnehmung ihrer Partei vervielfachen und zugleich die Verbindung zum derzeit mit den nationalen Sozialisten liebäugelnden ehemaligen Chef der tschechischen Sozialdemokraten, Jiří Paroubek, "durchtrennen" wollen (mit dem sie nichts zu tun haben).

Die Tschechische Nationalsoziale Partei (ČSNS) hat es dringend nötig, sich ins Scheinwerferlicht zu begeben, wenn man bedenkt, dass sie bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer des Parlaments in Prag im Sommer 2010 nach Angaben des Tschechischen Amtes für Statistik ganze 295 Stimmen erhielt.

Die gegenwärtige Kampagne der ČSNS hat allerdings ihre Spezifika: Die Propagatoren behaupten, dass mit dem Kreuz Mitgliedern der NSDAP ein Denkmal errichtet werde. In erster Linie muss aber gesagt werden, dass auch NSDAP-Mitglieder nicht mit Hacken und Schaufeln getötet werden dürfen. Und zweitens wurden auf der Wiese Budínka und in ihrem Umkreis Skelettteile von 13 Menschen gefunden. Anhand dieser Knochenreste zu erkennen, wer NSDAP-Mitglied war und wer nicht, ist recht kompliziert. Die DNA enthält diese Angabe bislang nicht. Auf den Einwand, Gebeinen könne nicht ohne weiteres die Mitgliedschaft in einer nazistischen Partei zugeschoben werden, antwortete der Sprecher der Anstreicher, in diesem Fall hätte die Aufstellung des Kreuzes keine Eile gehabt. Daraus ergibt sich die gute Nachricht, dass im Fall von Nichtmitgliedern der NSDAP vielleicht über die Errichtung eines Kreuzes nachgedacht werden könnte. Die schlechte Nachricht ist die, dass im Fall irgendeines Knochenfundes vorausgesetzt werden muss, dass es sich um NSDAP-Mitglieder handelt. Den Gebeinen bleibt dann nichts anderes übrig, als ihre Unschuld zu beweisen.

Insofern es sich um Opfer des Nationalsozialismus handelt, gebührt diesen alle Ehre. Sie haben sie im vollen Maß erhalten. Und den NS-Opfern, die für die Kommunisten auf diese oder jene Weise einen Störfaktor darstellten, wurde dies nach der politischen Wende kompensiert (Es waren nicht viel. Die Toten wurden von den Kommunisten eher toleriert.). Es wäre gut, einzugestehen, dass die Tatsache, dass Hitler Tschechen ermordet hat, nicht die richtige Inspiration dafür gewesen ist, dass nachfolgend Tschechen Deutsch-Böhmen ermordeten.

Und letztendlich: Wir haben erreicht, dass bei uns (in Tschechien) auf der einen Seite Flagellanten stehen, die die Vergangenheit mit den Augen der Gegenwart messen. Auf der anderen Seite stehen sog. authentische Patrioten und in der Mitte jene, die weder dem einen noch dem anderen Extrem verfallen sind (wie beispielsweise Vladimír Kučera in der Tageszeitung "Mladá fronta Dnes" vom 31. Oktober). Als erklärter Flagellant wage ich zu bemerken: Wenn z. B. der Kannibalismus verurteilt wird, betrachten wir die Welt mit heutigen Augen. Wir können zwar erklären, dass damals die Menschenfresserei normal war, was heute nicht mehr der Fall ist, doch das bedeutet nicht, dass der Kannibalismus in bestimmten Fällen gerechtfertigt werden kann - insbesondere wenn wir von einer Zeit sprechen, von der uns nur 66 Jahre trennen.

Eigentlich ist mein Anliegen aber folgendes: Diejenigen, die den Kannibalismus nicht nur heute, sondern auch vor 66 Jahren für abnormal halten, haben es noch immer sehr schwer. Sie verdienen unsere Unterstützung.

Tageszeitung "Lidové noviny", 7. November 2011
Übersetzung Sylvia Janovská