Die Jagd auf Mitrofan

Der spanische König Juan Carlos ist - wie es bei Aristokraten üblich ist - ein leidenschaftlicher Jäger. Bei seinem Russland-Besuch im August hatte er angeblich großes Verlangen, einen Bären zu erlegen. Die Gastgeber wollten ihm um jeden Preis entgegenkommen: Doch von Kaliningrad bis zur Halbinsel Tschukotka leben gegenwärtig nur einhundertsechzigtausend Bären und die Wahrscheinlichkeit, dass Seine Majestät einem von ihnen begegnet, war verhältnismäßig gering. Um einer Blamage zu entgehen, organisierten die Gastgeber irgendwo in der Provinz Wologda folgende Aktion: Sie beschafften sich einen zahmen Bären namens Mitrofan, ein fröhliches, gutmütiges Geschöpf, das für ein paar Leckerbissen mit seinen Kunststücken die örtlichen Kinder unterhielt. Sie betranken das Tier mit in Wodka vermischtem Honig, steckten es in einen Käfig (der arme Meister Petz kroch bereitwillig hinein, denn er ahnte nicht, dass sie ihn de facto in dem Behältnis zur Hinrichtungsstätte schaffen werden) und transportierten es in diesem Zustand in den Wald, wo Seine Majestät den sturzbesoffenen Bären mit dem ersten Schuss niederstreckte. Man kann davon ausgehen, dass sich der König dann mit dem Jagdschuh auf dem Bauch seiner Beute fotografieren ließ, ohne zu ahnen, dass ihm das der Bär für einen Liter Honig noch zu Lebzeiten erlaubt und zwei Purzelbäume als Zugabe gemacht hätte.

Die Pressesprecherin des Königs bestritt dann entrüstet den ganzen Vorfall. Dass der Monarch etwas von dem Potemkinschen Arrangement wusste oder ahnte, halte ich für ausgeschlossen: Die Spanier haben zwar Gefallen an manchen unbegreiflich barbarischen Bräuchen (Stierkämpfe), aber was zu viel ist, ist zu viel.

Andererseits ist festzustellen, dass Russland sich zu seinem Vorteil ändert. Der in der Provinz für das Jagdwesen zuständige Beamte beschwerte sich empört beim Gouverneur, der die Überprüfung der ganzen Angelegenheit zusagte. Dabei „jagten“ angeblich noch vor dreißig, vierzig Jahren Nikita Chrustschow und Leonid Breschnew an Bäume gebundene Bären. Offenbar belebten sie so die melancholischen Erinnerungen aus der Jugendzeit, als sie auf ähnliche Weise mit Menschen verfuhren. Und was werden wir uns erzählen: Während des Zweiten Weltkriegs ging die russische Generalität mit ihren Soldaten oftmals auf ähnliche Art um, wie die Organisatoren der königlichen Jagd mit dem armen Bären.

Ich gehe selbstverständlich von dem aus, was ich in der Zeitung gelesen habe. Wie es wirklich war, weiß ich nicht. Wer weiß das schon. Die Geschichte hätte auf jeden Fall passiert sein können: Der spanische König kehrte aus Russland in der Überzeugung zurück, den furchtbaren König der sibirischen Wälder erjagt zu haben, und die Organisatoren des Happenings kamen auch nicht zu kurz. Nur Mitrofan, der Ärmste, musste die Zeche bezahlen.

Zum Schluss muss ich gestehen, dass mir die ganze Geschichte überhaupt nicht sehr lustig vorkommt. Zuerst rissen sie den bemitleidenswerten Bären aus seiner natürlichen Umgebung, machten aus ihm einen allseits wehrlosen Spielball, amüsierten sich dabei köstlich und schickten ihn dann auf die als Jagd maskierte Schlachtbank (bei der Jagd hat ein Tier schließlich doch noch eine Chance, wenn auch wahrscheinlich eine so geringe, wie sie ein Häftling im grauenhaftesten nazistischen Konzentrationslager hatte).

Und ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass es sich um eine spezifisch russische Angelegenheit handeln würde. Die russischen Behörden und ihre Erfüllungsgehilfen zeichnen sich nur dadurch aus, dass sie ähnliche Dinge mit einer tölpelhaften Arglosigkeit tun, so dass diese dann von Zeit zu Zeit mit einer furchtbaren Blamage ans Licht kommen. Was mit dem unglücklichen Bären Mitrofan geschehen ist, ist ehrlich gesagt im Vergleich zu einigen Fällen aus der Vergangenheit eine Kleinigkeit.

22. Oktober 2006