Es ist unethisch

Das tschechische Innenministerium hat es abgelehnt, der ehemaligen Dissidentin und jetzigen Redakteurin der liberalen Tageszeitung „Lidové noviny“, Petruška Šustrová, das Verdikt eines Gerichts auszuhändigen, welches darüber entschieden hatte, ob der heutige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens, Vojtěch Filip, bewusst mit der Staatssicherheit Stb zusammengearbeitet hat. (Das Urteil kannte die Öffentlichkeit bisher nur aus der Schilderung des Herrn Filip). Bemerkenswert ist nicht die Abweisung an sich, sondern hauptsächlich ihre Begründung: Es wäre unethisch.

Den Inhalt des Urteils schieben wir jetzt einmal beiseite und widmen uns der Substanz der Angelegenheit: Aussagen darüber, wer und wie mit der tschechoslowakischen kommunistischen Staatssicherheit StB zusammengearbeitet oder im Gegenteil nicht kooperiert hat, sind unethisch. Die Zusammenarbeit mit der StB ist etwas, worüber man in einer anständigen Gesellschaft nicht spricht.

Diese Methode der Aufarbeitung der Vergangenheit mittels ihres völligen Verschweigens setzt sich bei uns immer mehr und in immer mehr Bereichen durch. Insofern es sich um die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit StB handelt, hoffe ich, dass der Rundfunk- und Fernsehrat schnellstmöglich mit der Erteilung saftiger Geldstrafen an die Fernsehsender beginnt, die Erwähnungen dieser Zusammenarbeit vor 22.00 Uhr in ihr Programm einreihen, wenn noch Kinder vor dem Bildschirm sitzen: Es könnte ihre sittliche Erziehung gefährden.

Die Zusammenarbeit mit der StB gerät in die Nachbarschaft des Frauenhandels. Einem jungen Mädchen aus einer anständigen Familie redeten sie ein, dass es als Hostess in einem soliden Unternehmen arbeiten wird. Statt dessen endete sie als Hure in einem schmutzigen Bordell in Neapel. Wir müssen ihr glauben, dass sie vom wirklichen Charakter ihrer künftigen Beschäftigung keine Ahnung hatte. Allerdings wirkt es etwas eigenartig, dass sie auch nach mehrjähriger Praxis in der erwähnten Institution in Neapel noch immer überzeugt ist, dass sie in Wirklichkeit als Hostess tätig war. Und das Gericht stellt ihr dafür noch einen Persilschein aus. So wie im Fall von KP-Chef Filip.

Allerdings gibt es zwischen denen, die mit der Staatssicherheit StB zusammengearbeitet haben, Unterschiede. Es ist etwas anderes, wenn sie einen Menschen nach zehn Jahren Gefängnis zermürbten, und etwas anderes, wenn sich jemand aus eigener Initiative gemeldet hat, um beispielsweise ins kapitalistische Ausland reisen zu können. Auch die Qualität der gewährten Dienste pflegte unterschiedlich zu sein. Freiwillig machte das freilich kaum jemand, weil jeder genau wusste, dass man das nicht tut. Und das es unethisch ist, es zu tun, und nicht, darüber zu sprechen.

In Tschechien herrscht seit Menschengedenken die abergläubische Überzeugung, dass Schweinereien aufhören zu existieren, wenn nicht über sie gesprochen wird. Aus dieser Richtung kommen die Aufrufe: Bohren wir nicht in der Vergangenheit, blicken wir in die Zukunft. Der Rückspiegel darf nicht so groß sein, dass er uns den Blick auf den Weg verdeckt.

Selbstverständlich kann man sich auch Schweinereien entledigen: Nicht, in dem nicht über sie gesprochen wird, sondern in dem wir sie den Tätern vergeben. Vergeben werden können sie, nachdem sie eindeutig benannt werden. In dem nicht über sie gesprochen wird, öffnet sich wirklich der Weg in die Zukunft: Das heißt, dass sich gerade für Schweinereien der Weg in die Zukunft öffnet.

9. Juli 2006