Der Menschenaffe im Dienst des Sozialismus

Dem britischen Blatt „The Scotsman“ zufolge (die britischen Journalisten bezogen ihre Informationen aus russischen Archiven) nahm die Idee im Gehirn von Josef Wissarionowitsch Stalin Gestalt an - unmittelbar nach dem er in die höchste Machtposition im sowjetischen Russland vorgedrungen war. Die Aufgabenstellung war einfach: Durch die Kreuzung von Mensch und Affe sollte ein etwa 180 Zentimeter großes Geschöpf entstehen, mit mächtiger Behaarung (damit es nicht zu viele Kleidungsstücke braucht), das im Alter von drei Jahren über die Kraft eines erwachsenen Mannes verfügt, keine Schmerzen fühlt, anspruchslos ist, was die Nahrung betrifft und auch Misshandlungen erträgt. Zum Einsatz für militärische Zwecke. Unklar ist, ob der Affenmensch die bisherigen unvollkommenen Menschen auf irgendeine Art ergänzen oder direkt ersetzen sollte. Nehmen wir an, dass sich im Eigengefälle eine zweite, konsequentere Lösung durchgesetzt hätte, wenn das Experiment erfolgreich gewesen wäre. Das Projekt wurde vom Politbüro gebilligt und an die sowjetische Akademie der Wissenschaften weitergereicht. Diese erteilte den Auftrag Professor Ilja Iwanow, einen renommierten Experten für die Zucht von Rennpferden. Dem Pechvogel blieb selbstverständlich nichts anderes übrig, wenn ihm sein Leben lieb war, als zu gehorchen, nach Afrika zu reisen und mit der Befruchtung von Affen zu beginnen. Stalin ließ unterdessen irgendwo in Grusinien ein Internat für die ersten Zöglinge errichten.

Das Experiment gelang verständlicherweise nicht. Den hundertjährigen russischen Traditionen entsprechend war Iwanow daran schuld. Weil Nachrichten über die Versuche in die USA gelangten und dort einen ordentlichen Skandal auslösten, wurde der Wissenschaftler zunächst wegen Spionage verurteilt. Dann wurde die Strafe in die Verbannung nach Kasachstan abgeschwächt, wo Iwanow kurz darauf elendiglich zugrunde ging. (Für die russischen Verhältnisse ist typisch, dass die heutigen russischen Publizisten den Einfall des Diktators direkt Iwanow zuschreiben und aus ihm einen „roten Frankenstein“ machen. Die Version der Zeitung „The Scotsman“ ist weitaus plausibler. Diese Zeilen sollen als Rehabilitation des unglücklichen Iwanow verstanden werden).

Paradox ist, dass das Experiment in der UdSSR und ihren Kolonien einschließlich unseres Vaterlands letztlich dennoch Erfolg hatte, wobei wegen ihm keine Affen vergewaltigt werden mussten. Während einiger Jahrzehnte der Fürsorge Lenins, Stalins und ihrer Nachfolger entstand der „homo socialisticus“, der den Großteil der vom Führer der Völker gestellten Anforderungen erfüllte. Wahr ist, dass nicht alles gelang. Die Behaarung erreichte nie die gebührende Dichte. Ein dreijähriges Wesen dieses Typs hat zwar nicht die Kraft eines erwachsenen Mannes, was aber reichlich dadurch ausgewogen wird, dass ein erwachsenes Wesen dieses Typs die Intelligenz eines dreijährigen Kindes hat. Es fühlt zwar den Schmerz, aber allgemein zeigt es eine deutliche Abgestumpftheit, und das ist ähnlich. Dafür ist dieses Geschöpf aber bezüglich der Größe im Rahmen der Norm, beim Essen nicht sehr wählerisch und vor allem erträgt es, dass man mit ihm wie mit einem Hund umgeht.

Ein Problem trat nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Experiments ein: Das neue Wesen eignet sich quasi nicht für das anspruchsvolle Milieu der Demokratie. Wenn es nur ein bisschen möglich ist, beginnt dieses Geschöpf, die Demokratie seinem Bild anzupassen. Weil die Mutation nicht genetisch bedingt ist, sondern im Prinzip durch Dressur erreicht wurde (bei der freilich innerhalb einiger Jahrzehnte ein ziemlich grausamer Terror appliziert werden musste), sollte es sich um einen umkehrbaren Prozess handeln. Hier besteht jedoch eine Schwierigkeit: Diesmal muss es im Guten geschehen. Und das ist fast unmöglich: Schließlich ist es wesentlich einfacher, ein Affe zu sein als ein Mensch!

1. Januar 2007