Mit den Lastern kämpfen

Durch den Beitritt zur EU wird sich unser Leben angeblich nicht wesentlich ändern. Die einen, wie Ministerpräsident Špidla, trösten uns damit, die anderen, wie Präsident Klaus, wollen uns um Gegenteil um unnötige Illusionen bringen. Weder die einen noch die anderen haben Recht. Unser Leben wandelt sich schnell zum Besseren: Wir werden zum Gegenstand systematischer Fürsorge, deren Ziel unser Wohl und Gedeihen ist. Unter Einsatz der unerlässlichen Dosis Gewalt wird unser Widerstand gebrochen, und wir finden uns im Paradies wieder.

Schon jetzt geht es den Rauchern an den Kragen. Es handelt sich um keine Initiative der Union. Diese hat sie nur angenommen und weiter entwickelt. Die Zeit naht, in der die letzten Nikotin-Liebhaber sich in dunklen Nächten an Verbrechen vorbehaltene, abgelegene Orte schleichen werden, in verlassene Fabrikgebäude, Lagerhallen und auf Autofriedhöfe, um dort heimlich zu paffen. Zu Ehren wird zweifelsohne auch die Prohibition kommen: Die Erfahrungen aus dem Chicago der zwanziger Jahre sind inspirativ, und zwar derart, dass wir das, was wir bislang nur aus amerikanischen Filmen kennen, am eigenen Leib erleben werden.

An der Reihe sind auch die Dicken, die sich nicht nur selbst zahlreiche Krankheiten verursachen, angefangen von der Diabetes bis zur ischämischen Herzerkrankung. EU-Kommissar David Byrne warnt: „Wenn wir den Anstieg der Fettsucht nicht stoppen, wird das die durchschnittliche Lebenserwartung verkürzen und in Zukunft die Reserven des Staatshaushaltes aufsaugen.“ In Gefahr ist also nicht nur die Gesundheit verantwortungsloser Einzelpersonen, sondern auch etwas derart Bedeutungsvolles wie der Staatshaushalt. Und dabei verwies der Herr Kommissar nicht darauf, dass die Dicken der Gesellschaft auch nach dem Tode schaden: Ihre Kremation ist wesentlich energieaufwendiger als die der Dünnen.

Und so beabsichtigt man in Großbritannien, Kekse und Torten mit einer Sondersteuer zu belasten. Wir – getreu der österreichischen bürokratischen Tradition – werden gegen die Fettleibigkeit mit ressortübergreifenden Kommissionen und mittels Kongressen kämpfen. Außerdem gibt es hier die aufschlussreiche russische Tradition: Nehmen wir uns ein Beispiel an Peter dem Großen, der einst das äußere Erscheinungsbild seiner Untertanen europäisieren wollte und ihnen die ungepflegten Vollbärte versteuerte! Belasten wir das Übergewicht der Dicken mit einem progressiven Steuersatz! Das ist sozial gerechter als eine indirekte Steuer für Torten und Kekse, die auch die mageren Esser trifft.

Zu Wort meldet sich auch eine inländische Initiative. Senator Daniel Kroupa beabsichtigt, Gewalt und Sex im Fernsehen einzudämmen. Er sollte kühner sein und die Eindämmung von Gewalt und Sex überhaupt fordern. Junge Eheleute würden sich das nächste Mal nicht mit dem Aushecken verschiedener zweifelhafter Sexspiele zerstreuen und geduldig auf den Anflug des Klapperstorchs warten. Damit würde Herr Kroupa zwar das Bemühen seiner christdemokratischen Partner um die Erhöhung der Geburtenziffer etwas ins Wanken bringen, doch die Christdemokraten gleichen dieses Manko mit einem Abtreibungsverbot sowie mit dem Schutz der tschechischen Gesellschaft vor der Falle der Sodomie aus.

Zum Schluss werden wir alle kerngesund werden und unser europäischer Superstaat wird stolz auf uns sein können. Weil er aber gleichzeitig gegen den amerikanischen Imperialismus und für das multikulturelle Zusammenleben mit den Terroristen von Al-Qaida kämpft, haben wir die Hoffnung, dass wir früher oder später alle wie Milchferkel abgeschlachtet werden. Aber auch das hat seine Logik: Auf den Schlachthof gehören nur gesunde Tiere.

6. Juni 2004