Zwei Stalin-Denkmäler

Vor fünfzig Jahren, am 23. Oktober 1956, kam es in der ungarischen Hauptstadt Budapest zu einer Massendemonstration, aus der der erste große Aufstand gegen die kommunistische Sowjet-Herrschaft in Mitteleuropa hervorgehen sollte. Vergleiche mit dem Jahr 1968 in der Tschechoslowakei ergeben sich von selbst. Sinnbildlich lassen sich diese anhand der Schicksale zweier Stalin-Statuen dokumentieren.

 

Das Budapester Stalin-Denkmal war etwas kleiner als das in Prag und stand dort relativ abgeschieden. Die Idee, es am Abend des 23. Oktober niederzureißen, kam spontan aus den Reihen der Demonstranten. Doch so einfach ließ sie sich nicht verwirklichen. Ein Autokran reichte nicht aus, Schweißbrenner mussten zum Einsatz kommen. Schließlich stürzte die Statue: Zurück blieben auf dem Sockel lediglich zwei riesige Stiefel, so, als ob auf den warten würden, der sie sich nochmal anzieht. Diejenigen, die sich an dem Abriss des Denkmals beteiligten, wurden später unter der Kádár-Regierung drastisch bestraft. Dessen ungeachtet verschwanden die Stiefel Stalins. Und heute ist kaum noch festzustellen, wo sich das Denkmal überhaupt befand. Die älteren Bürger Prags erinnern sich noch an das gigantische Stalin-Denkmal in Prag, einen Steinhaufen, der den Hügel über der Prager Čech-Brücke und der Pariser Straße völlig entstellte. Die Figur des Diktators stützten symbolisch tschechische und russische „Werktätige“. Der von „Partei und Regierung“ organisierte Abriss, dem der damalige Chef der kommunistischen Partei in der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, zugestimmt hatte – wenn er nicht sogar auf seinen Befehl hin durchgeführt wurde – dauerte etliche Monate. Überreste des Monstrums schänden noch heute den Abhang über der Brücke. Niemand weiß, was man mit ihnen machen sollte.

Der ungarische Stalinismus stand auf einem wackligeren Fundament als der tschechische. Die Russen kamen als Besatzer ins Land und benahmen sich auch als solche. Erst anfang der neunziger Jahre verließen sie Ungarn. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Ungarn ein verwüstetes und ausgeplündertes Land. In den halbfreien Wahlen von 1945, erzwungen von den westlichen Alliierten, mussten die Kommunisten eine vernichtende und schmachvolle Niederlage hinnehmen. Deshalb wurde das kommunistische Regime in Ungarn aus einem Konglomerat des Terrors und schmutzigen Intrigen errichtet. Im Land herrschte ein furchtbares Elend. Der im Jahr 1953 unternommene Versuch, sich von diesen Zuständen irgendwie zu lösen, wurde früh abgebrochen.

Anders war die Situation in der Tschechoslowakei. Für die große Mehrheit der tschechischen Gesellschaft war der Einmarsch russischer Truppen im Jahr 1945 ein Akt der Befreiung. Die russischen Soldaten zogen sich noch im gleichen Jahr zurück und überließen alles den einheimischen Kommunisten. Diese gingen aus den Wahlen von 1946 als eindeutige Sieger hervor, weil sie auf die slawischen Sympathien und die plebejische tschechische Zuneigung zum Sozialismus setzten. So gelang es den Kommunisten, ihre faktische Machtübernahme, den „Februarputsch“ 1948, als legalen Regierungswechsel darzustellen. Die soziale Situation war vergleichsweise erträglich, jedenfalls litt niemand Hunger.

Die Ungarn wollten durch die Revolution von 1956 zwei Dinge erreichen: die Wiederherstellung der politischen Pluralität und der nationalen Unabhängigkeit. Dass das im Guten nicht gelingen wird, stand seit dem Abend des 23. Oktober fest. Der Aufstand wurde blutig durch die russische Übermacht unterdrückt. Dem Westen blieb nichts anderes übrig als diesem hilflos zuzuschauen. Aber dennoch: „Wenn das Korn nicht stirbt, bleibt es allein, und wenn es stirbt, bringt es zahlreiche Früchte ein.“ Die Opfer vom Herbst 1956 waren nicht umsonst. Sowohl die Russen als auch Kádár wussten bereits, was sie sich nun erlauben konnten und was nicht. Die relativ freiere Situation der siebziger und achtziger Jahre in Ungarn ist den Gefallenen des Jahres 1953 zu verdanken.

 

Auch der „Prager Frühling“ hat zweifelsohne zur Auflösung und zum Sturz der bolschewistischen Herrschaft beigetragen. Aber: Solange es um politischen Pluralismus oder staatliche Souveränität ging, waren die tschechoslowakischen Reformkommunisten sehr zurückhaltend. Sie wollten sich realistischer als die Ungarn im Jahr 1956 verhalten. Geholfen hat ihnen das aber auch nicht. Die Tschechoslowakei versank nach dem „Prager Frühling“ für 20 Jahre in einen abscheulichen Marasmus.

Die ungarische Revolution war der erste große Aufstand einer unterdrückten Nation gegen die russische Besatzung und kommunistische Unterjochung. Der ungarische David verlor damals gegen den roten Goliath. Im alltäglichen Leben geht David selten als Sieger hervor. Trotzdem können die Ungarn heute stolz darauf sein.

Mladá fronta Dnes den 24. Oktober 2006
Prager Zeitung 1. 11. 2006